Interview mit Dany Boon

Zehn Jahre nach dem außerordentlichen Erfolg von „Willkommen bei den Sch’tis“ startet am 22. März mit DIE SCH'TIS IN PARIS - EINE FAMILIE AUF ABWEGEN eine weitere Komödie um das sympathische Volk aus dem Norden Frankreichs in den deutschen Kinos. Regisseur und Schauspieler Dany Boom hat etwas aus dem Nähkästchen geplaudert...

Die DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN ist Ihr sechster Film als Regisseur und er kommt ziemlich genau ein Jahr nach Ihrem fünften Film DIE SUPER-COPS – ALLZEIT VERRÜCKT! ins Kino. Gab es einen Grund dafür, dass Sie die Filme so schnell hintereinander gedreht haben?

Es gab keinen besonderen Grund zur Eile. Ich hatte nur sehr große Lust, diesen Film zu drehen und abgesehen davon kam WILLKOMMEN BEI DEN SCH’TIS (der auch in Nordfrankreich spielte) genau vor zehn Jahren heraus. Die Idee zu DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN stammt aus den frühen 2010er Jahren. Ich erinnere mich, dass ich damals zu Line Renaud sagte, dass wir wieder gemeinsam in der gleichen Region arbeiten würden. Seitdem fragte sie mich jedes Jahr: „Wann geht es los?“. Ich schob den Dreh des Films aber immer wieder auf, während ich weiterhin am Drehbuch arbeitete und zwischendurch andere Filme machte, darunter die Actionkomödie DIE SUPER-COPS – ALLZEIT VERRÜCKT!. Danach hatte ich große Lust auf diesen Film, um wieder zu familiären, intimen und persönlichen Themen zurückzukehren.
Ich möchte noch hinzufügen, dass ich bei DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN zum zweiten Mal gemeinsam mit Sarah Kaminsky das Drehbuch schrieb, eine Autorin, mit der ich mich wunderbar verstehe. Wir ergänzen uns perfekt. Wir werfen uns gegenseitig die Bälle zu und sparen damit viel Zeit. Wir verbrachten ganze Tage mit Schreiben, von morgens bis abends. So war die erste Version des Drehbuchs innerhalb von zwei Monaten fertig – ich allein hätte dafür sechs Monate gebraucht.

Die Grundidee des Films hat Sie also über sieben Jahre begleitet. Wissen Sie noch, wie sie entstanden ist?

Natürlich. Ich habe mich immer zu meinen Wurzeln und meiner Identität als Sch’ti bekannt, und dem unprätentiösen Kleinstadtmilieu, in dem ich aufgewachsen bin. Der Großteil meiner Figuren, ob auf der Leinwand oder der Bühne, sind einfache und sehr echte Menschen. Sie haben eine clowneske Seite an sich und entsprechen den Menschen, denen ich in meiner Jugend hätte begegnen können. Ich fühle mich ihnen sehr verbunden. Ich karikiere sie, aber mache mich nie über sie lustig. Eines Tages habe ich mir die Frage gestellt: Was wäre, wenn ich alles anders gemacht hätte? Wenn ich, als ich nach Paris kam, auf den schlechten Rat einiger Produzenten gehört hätte, die mir rieten, meine Herkunft zu verleugnen und mir meinen Akzent abzugewöhnen. Aus diesen Überlegungen heraus (und da ich ausgebildeter Graphikdesigner bin) ist die Hauptfigur Valentin entstanden, der sich für seine Wurzeln schämt und sich deshalb eine neue Herkunft ausdenkt, bis ihn seine Lügen irgendwann einholen… 2016 haben wir der Geschichte ein weiteres Element hinzugefügt: Auch der Bruder (gespielt von Guy Lecluyse), der Geld für die Rettung seines Biobauernhofes benötigt, belügt seine Mutter, um einen Grund zu haben, nach Paris zu fahren und seinen verschollenen Bruder Valentin wieder zu treffen… Und so bekam die Geschichte plötzlich eine größere Bedeutung, mehr Farbe und Spannung.

Wenn ich Sie richtig verstehe, ist DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN ihr bisher persönlichster Film?

Definitiv. Wenn Valentin mit seiner Mutter spricht, erkenne ich mich darin wieder. Ich sehe meinen Vater in der Figur, die Pierre Richard spielt. Übrigens, in der Szene, in der ich mich nach all den Jahren mit ihm ausspreche, bin ich in Tränen ausgebrochen. Und zwar so stark,
dass ich die Szenen nicht verwenden konnte, da sie nicht zu schneiden waren. Die Emotionen waren zu stark. Mir ist bewusst geworden, dass das Thema familiäre Wurzeln viele Menschen anspricht, unabhängig vom sozialen Herkunftsmilieu. Für unsere Eltern bleiben wir immer Kinder und wir haben gegenüber ihnen immer noch die Einstellung an uns: „Kannst Du mich bitte zur Schule fahren, aber mich nicht direkt davor, sondern zwei Straßen weiter absetzen.“ Ich liebe meine Mutter. Sie ist eine sehr lustige Frau, die von meinem Leben eine ziemlich romantische Vorstellung hat, seitdem ich das Milieu gewechselt habe. Es ist nicht besser oder schlechter, nur die Regeln sind andere. Meine Mutter fühlt sich darin nicht wohl, aber bittet mich nett und höflich zu bleiben. Als WILLKOMMEN BEI DEN SCH’TIS im Elysée Palast gezeigt wurde, wollte meine Mutter nicht mitkommen, aus Angst, sich falsch zu benehmen. Ich habe darauf bestanden, ihr ein Kleid gekauft und gesagt, dass all ihre Kinder und Enkelkinder auch eingeladen seien. Schließlich hat sie ja gesagt. Und als sie sah, dass es kein Dinner sondern ein Buffet gab, war sie erleichtert, denn sie hatte Angst, sich mit den Gläsern und dem Besteck zu vertun! Ihre Interessen liegen einfach woanders. Ein anderes Beispiel: Als WILLKOMMEN BEI DEN SCH’TIS am Startwochenende in den französischen Kinos alle Rekorde gebrochen hatte, habe ich stolz meine Mutter angerufen, um ihr davon zu erzählen. Und ihre erste Reaktion war: „Kaufe dir bloß kein neues Auto“. Sie machte sich Sorgen, dass ich mein Geld zu schnell ausgeben könnte. Man bleibt eben immer arm im Kopf.
Zu „Super-Hypochonder“ habe ich ihr als Erinnerung für sie selbst und ihre Freundinnen Film-Postkarten gegeben, aber sie hat sie auf dem Markt verteilt, um für den Film zu werben. Als ich ihr sagte, das sei nicht nötig, hat sie geantwortet: „Sei nicht so stolz“. Für meine Mutter ist nichts selbstverständlich und im Grunde hat sie Recht. Man muss sich immer wieder selbst in Frage stellen, denn alles kann sich von einem Tag auf den anderen ändern und daran ändert auch der Bekanntheitsgrad nichts.

Der Film erzählt vom äußeren Schein: Valentin und seine Frau Constance (Laurence Arné) sind zeitgenössische Möbeldesigner, von sehr hippen und extrem ungemütlichen Möbeln.

Das sind Möbel, die ich zum Teil mit Hervé Ballet, meinem Chefdekorateur entworfen habe, der mit seinem Team eine außergewöhnliche Leistung erbracht hat. Es war mir wichtig, dass die manchmal etwas hochtrabende Seite der Designerwelt auf der Leinwand sichtbar wird. Man sollte nicht zu viel karikieren, aber diese Seite gibt es wirklich! Es geht um die essenzielle Frage, ob man sein Wissen und seine Bildung teilt oder sein Wissen nur zur Schau stellt. Im künstlerischen Milieu ist meist das Zweite vorherrschend. Manche sehen ihre Erfüllung darin, mehr als die anderen zu glänzen, indem sie auf sie herabsehen. Außerdem wirkt man weniger naiv, wenn man etwas Schlechtes über die Arbeit der anderen sagt. Ich hatte immer das Gefühl, dass man in Paris den anderen weniger wohlwollend gegenübersteht, als dort, wo ich herkomme. Man kann sich unter dem Einfluss dieses Pariser Geistes verändern. Aber Jacques Grange zum Beispiel, dessen Arbeit als Dekorateur ich sehr bewundere, ist ein echter mondäner Pariser, aber im guten Sinne des Wortes. Kultiviert, geistreich, erfinderisch, mit dem Geschmack und dem Talent, Epochen zu vermischen. Und wenn er etwas Schlechtes über die Arbeit der anderen sagt, ist es immer lustig, nie grausam. Ich kenne auch Innendesigner, die schlichte Designerstücke entwerfen, ohne sich ums Wohlergehen der Nutzer zu sorgen. „Der Komfort des Nichts“ ist ein Satz, den ich aus dem Mund eines Dekorateurs gehört habe. Meine Figur des Valentin ist gar nicht so karikaturistisch und sie baut auf einer Lüge auf. Es ist daher nur logisch, dass seine Kreationen wackelig sind.

Wenn wir schon davon sprechen: DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN ist Ihr sechster Film als Regisseur und Sie haben sich von der Bühne verabschiedet. Und jetzt?

Ja genau, was mache ich jetzt? Ich werde Drehbücher für Kinofilme schreiben und die Rollen annehmen, die man mir anbietet. Ich bekomme sehr interessante und unterschiedliche Angebote. In Frankreich, in den USA und selbst in China… Obwohl ich mit ausländischen Projekten sehr vorsichtig bin, vor allem mit amerikanischen, bei denen die künstlerische Freiheit oft eine Illusion ist. Ansonsten bin ich Schauspieler in einem Film von Jalil Lespert mit Guillaume Galliens. Und ich weiß, dass die Produzenten von NICHTS ZU VERSCHENKEN und der Regisseur Fred Cavayé an einer Fortsetzung schreiben. Ich warte ungeduldig darauf, das Drehbuch zu lesen.

Bergues